Trauma und Gedächtnis
Neurobiologie traumatischer Erinnerungen und evidenzbasierte Therapie
Traumatische Erlebnisse werden anders verarbeitet und gespeichert als alltägliche Erinnerungen. Die Neurobiologie zeigt charakteristische Veränderungen in Hippocampus, Amygdala und präfrontalem Kortex. Diese Erkenntnisse erklären typische Symptome wie Intrusionen, Vermeidung und erhöhte Erregbarkeit. Evidenzbasierte Therapieverfahren zielen auf die Reintegration fragmentierter Erinnerungen.
1. Traumatische Erfahrungen und PTBS
Ein Trauma ist ein Ereignis, das die normale Bewältigungsfähigkeit übersteigt und mit intensiver Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen einhergeht. Nicht jedes Trauma führt zu einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Die Lebenszeitprävalenz liegt bei etwa 7 bis 8 Prozent, wobei Frauen häufiger betroffen sind als Männer.
Die PTBS ist gekennzeichnet durch vier Symptomcluster: Wiedererleben des Traumas durch Intrusionen und Albträume, Vermeidung traumarelevanter Reize, negative Veränderungen in Kognition und Stimmung sowie erhöhte Erregbarkeit. Diese Symptome müssen länger als einen Monat bestehen und zu klinisch relevantem Leiden führen.
2. Gedächtnissysteme und Trauma
Das Verständnis traumatischer Gedächtnisprozesse erfordert die Unterscheidung verschiedener Gedächtnissysteme. Das explizite oder deklarative Gedächtnis speichert bewusst zugängliche Fakten und Ereignisse und ist auf den Hippocampus angewiesen. Das implizite Gedächtnis umfasst unbewusste Lernprozesse und emotionale Konditionierung, die wesentlich von der Amygdala abhängen.
2.1 Hippocampale Dysfunktion
Unter extremem Stress wird die hippocampale Verarbeitung beeinträchtigt. Traumatische Erinnerungen werden daher oft fragmentiert und ohne angemessenen räumlich zeitlichen Kontext gespeichert. Dies erklärt, warum Betroffene Schwierigkeiten haben, eine kohärente Traumanarration zu bilden, während sensorische Details lebhaft präsent bleiben.
«Bei PTBS ist das Trauma nicht wirklich vergangen. Es wird nicht als Erinnerung erlebt, sondern immer wieder als gegenwärtige Bedrohung. Die Integration in die autobiographische Zeitlinie ist gescheitert.»
2.2 Amygdala Hyperaktivität
Die Amygdala zeigt bei PTBS eine anhaltende Überaktivierung. Traumarelevante Reize lösen intensive Angstreaktionen aus, auch wenn objektiv keine Gefahr besteht. Diese emotionale Konditionierung ist robust und erklärt die Persistenz der Symptomatik über Jahre und Jahrzehnte.
3. Neurobiologische Befunde
Bildgebende Studien bei PTBS Patienten zeigen konsistente Veränderungen in mehreren Hirnregionen. Die DGPPN fasst diese Befunde in ihren Leitlinien zusammen:
| Hirnregion | Befund bei PTBS | Klinische Bedeutung |
|---|---|---|
| Hippocampus | Volumenreduktion (5 bis 12%) | Fragmentierte Erinnerungen |
| Amygdala | Hyperaktivität | Überschiessende Angstreaktion |
| Medialer präfrontaler Kortex | Hypoaktivität | Verminderte Emotionsregulation |
| Anteriorer cingulärer Kortex | Reduziertes Volumen | Beeinträchtigte Konfliktverarbeitung |
Diese strukturellen und funktionellen Veränderungen sind teilweise reversibel. Erfolgreiche Traumatherapie geht mit einer Normalisierung der Hirnaktivität einher. Insbesondere die präfrontale Kontrolle über die Amygdala kann durch Therapie gestärkt werden.
4. Evidenzbasierte Traumatherapie
Mehrere Therapieverfahren haben in randomisierten kontrollierten Studien ihre Wirksamkeit bei PTBS belegt. Die International Society for Traumatic Stress Studies empfiehlt folgende Erstlinientherapien:
4.1 Prolongierte Exposition
Die prolongierte Exposition basiert auf dem Prinzip der emotionalen Verarbeitung. Durch wiederholte, kontrollierte Konfrontation mit Traumaerinnerungen in der Vorstellung und in vivo werden Vermeidung abgebaut und neue, sicherheitsbezogene Assoziationen gebildet. Die Effektstärke ist gross, etwa 70 Prozent der Behandelten zeigen klinisch bedeutsame Verbesserungen.
4.2 EMDR
Eye Movement Desensitization and Reprocessing kombiniert die Fokussierung auf traumatische Erinnerungen mit bilateraler Stimulation, typischerweise durch geführte Augenbewegungen. Die Wirksamkeit ist vergleichbar mit expositionsbasierten Verfahren. Die genauen Wirkmechanismen werden noch diskutiert; Hypothesen umfassen die Belastung des Arbeitsgedächtnisses und Effekte auf die Gedächtnisrekonsolidierung.
4.3 Ergänzende Ansätze
Hypnotherapeutische Techniken werden zunehmend als Ergänzung zu traumafokussierten Verfahren eingesetzt. Sie können die Stabilisierung unterstützen, Ressourcen aktivieren und den Zugang zu dissoziierten Erinnerungsfragmenten erleichtern.
5. Prognose und Verlauf
Unbehandelt verläuft PTBS häufig chronisch. Etwa ein Drittel der Betroffenen zeigt jedoch auch ohne Behandlung eine Spontanremission innerhalb des ersten Jahres. Mit evidenzbasierter Therapie sind die Aussichten günstig: Die Mehrheit der Behandelten erreicht klinisch bedeutsame Verbesserungen, viele eine vollständige Remission.
Prognostisch ungünstig sind frühe Traumatisierung, wiederholte Traumata, lange Latenz bis zur Behandlung und komorbide Störungen. Die frühzeitige Erkennung und Behandlung ist daher von grosser Bedeutung für den Krankheitsverlauf und die Lebensqualität der Betroffenen.
Literaturverweise
- Bremner, J.D. (2006). Traumatic stress: effects on the brain. Dialogues in Clinical Neuroscience, 8(4), 445-461.
- Shalev, A. et al. (2017). Post-Traumatic Stress Disorder. New England Journal of Medicine, 376(25), 2459-2469.
- Foa, E.B. et al. (2019). Effective Treatments for PTSD: Practice Guidelines from the International Society for Traumatic Stress Studies. New York: Guilford Press.
- van der Kolk, B.A. (2014). The Body Keeps the Score: Brain, Mind, and Body in the Healing of Trauma. New York: Viking.